„Rächt euch nicht selbst, meine Lieben.“  Römer 12,19a

 

David musste zahlreiche Hindernisse überwinden und viele Schwierigkeiten bewältigen, bis er König von Israel wurde. Die Prüfung aber, die ihn in der Wüste En-Gedi erwartete, gehörte sicherlich zu den schwierigsten, die er zu bestehen hatte.

Saul hatte erfahren, dass David sich in der Wüste En-Gedi verbarg, woraufhin er ihm mit dreitausend Männern nachjagte. Als David und seine Begleiter die Übermacht heranziehen sahen, verbargen sie sich in einer Höhle. Als ein Mann am Eingang auftauchte, wagten David und seine Begleiter kaum noch zu atmen. Schließlich erkannten sie, dass es Saul war, der sich nur wenige Meter entfernt von ihnen auf den Boden legte, um sich auszuruhen. Schon bald verrieten seine Atemzüge, dass er fest eingeschlagen war.

Die Gefährten Davids hatten keine Zweifel, dass es sich um eine Fügung Gottes handelte, denn sie sagten: „Das ist der Tag, von dem der Herr zu dir gesagt hat: Siehe, ich will deinen Feind in deine Hände geben, dass du mit ihm tust, was dir gefällt“. Als sich David erhob und Saul vorsichtig näherte, konnten seine Begleiter das Messer in seiner Hand sehen. Alle waren davon überzeugt, dass nun das Ende Sauls gekommen war. Doch David tat etwas, das keiner erwartet hatte: Behutsam schnitt er ein Stück vom Gewand Sauls ab. Dann ließ er seine überraschten Männer wissen: „Das lasse der Herr ferne von mir sein, dass ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des Herrn; denn er ist der Gesalbte des Herrn.“

Als Saul die Höhle wieder verlassen hatte, folgte ihm David aus sicherer Entfernung und rief ihm zu: „Mein Herr und König“, wobei er niederfiel und sein Antlitz zur Erde neigte, „warum hörst du auf das Geschwätz der Menschen, die da sagen: David sucht dein Unglück? Siehe, heute haben deine Augen gesehen, dass dich der Herr in meine Hand gegeben hat in der Höhle, und man hat mir gesagt, dass ich dich töten sollte. Aber ich habe dich verschont; denn ich dachte: Ich will meine Hand nicht an meinen Herrn legen; denn er ist der Gesalbte des Herrn. Mein Vater, sieh doch hier den Zipfel deines Rocks in meiner Hand! Dass ich den Zipfel von deinem Rock schnitt und dich nicht tötete, daran erkenne und sieh, dass meine Hände rein sind von Bosheit und Empörung. Ich habe mich nicht an dir versündigt; aber du jagst mir nach, um mir das Leben zu nehmen. Der Herr wird Richter sein zwischen dir und mir und mich an dir rächen, aber meine Hand soll dich nicht anrühren; wie man sagt nach dem alten Sprichwort: Von Bösen kommt Böses; aber meine Hand soll dich nicht anrühren ... Der Herr sei Richter und richte zwischen mir und dir und sehe darein und führe meine Sache, dass er mir Recht schaffe wider dich!“

Es ist kaum zu glauben, dass sich dieses Ereignis später, an anderer Stelle, wiederholte: Erneut geriet Saul in die Hände Davids. Und auch diesmal verschonte David sein Leben. Er rächte sich nicht selbst, sondern sagte: „Von mir lasse der Herr fern sein, dass ich meine Hand sollte an den Gesalbten des Herrn legen.“ Und Saul ließ er wissen: „Siehe, wie heute dein Leben in meinen Augen wert geachtet gewesen ist, so werde mein Leben Wert geachtet in den Augen des Herrn, und er errette mich aus aller Not!“

 

Während sich David auf der Flucht befand, hart bedrängt und immer in Todesgefahr, lernte er Menschen kennen, die wie er entwurzelt waren. Sie alle spürten, dass David, trotz des großen Unrechts, das er erduldete, keine Bitterkeit im Herzen trug – im Gegenteil, sein fester Glaube an den Gott Israels wurde für viele Enttäuschte und Hoffnungslose zu einem Silberstreif am Horizont ihres Lebens. So kam es, dass David der Anführer einer Schar wurde, die „in Not und Schulden und verbitterten Herzen waren“.

Nun aber stand nicht mehr nur sein eigener Überlebenskampf im Vordergrund, David musste sich auch um vierhundert Männer kümmern, die sich ihm angeschlossen hatten und ihm vertrauten. Er war zum König der Entrechteten geworden!

 

Zu keinem Zeitpunkt riss David das Königtum an sich! Vielmehr wartete er auf den Tag, an dem Gott ihn erhöhen und in sein Amt einsetzen würde. Obwohl ihn der Herr bereits zum König gesalbt hatte, dünkte sich David nicht groß, sondern unbedeutend und gering. So fragte er Saul: „Wem jagst du nach? Einem toten Hund, einem einzelnen Floh?“

 

Viele Jahre musste David alles entbehren, was uns Menschen wichtig erscheint. Doch während er Wüsten durchwanderte und nie wusste, was morgen sein würde, gejagt, eingeengt und bedroht, wurde er innerlich immer reicher, nahm er beständig zu. In einer Zeit, in der David äußerlich großen Verlust erlitt, wurde ihm innerlich ewiger Gewinn zuteil.

Zuerst und vor allem wurde David das Wohlgefallen seines Gottes zuteil. Auch durfte er die Unterstützung und den Beistand des Höchsten immer wieder aufs Neue erfahren. Bereits bei den Schafhürden stand ihm der Herr im Kampf gegen den Bären und den Löwen bei. Danach triumphierte David mit seinem Harfenspiel und seinem Lobpreis über die dunklen Mächte, die den König Saul peinigten. Schließlich wurde ihm, im Vertrauen auf den Herrn der Heerscharen, der Sieg über den Riesen Goliath geschenkt, womit auch die Furcht endete, die das Heer Israels gelähmt hatte. Später dann, als David von Saul verfolgt wurde, gewann er die Freundschaft Jonatans, des Sohnes Sauls. Und sogar als David von Nabal verspottet wurde und der ihm seine Hilfe verweigerte, ging David nicht leer aus. Als der Hartherzige nach zehn Tagen starb, wurde Abigails, die Witwe Nabals, Davids Ehefrau und seine treue Gefährtin.

Den größten Sieg aber errang David über sich selbst: Obwohl er Stunden der Einsamkeit und der Angst kannte, ließ er sich nicht von Resignation und Entmutigung überwältigen. Nein! David stärkte sich in seinem Gott. Und dort, wo andere Rache geübt hätten, erwies er Edelmut und Nachsicht, indem er das Leben seines ärgsten Widersachers schonte. Obwohl Saul tief gefallen und vom Herrn verworfen worden war, sah David in ihm dennoch den Gesalbten Gottes. Deshalb versündigte er sich nicht an ihm – er überließ es Gott, Saul zu richten. Später dann, als Saul, seine Söhne und viele seiner Getreuen durch die Hand der Philister den Tod fanden, sang David keine Siegeslieder. Im Gegenteil: Er beweinte die Gefallenen, ja, er stimmte ein Heldenlied an. Sein Herz war frei von Schadenfreude und dem Wunsch nach Rache!

 

Es war Gott, der Herr, der David zu einem Mann nach seinem Herzen formte, ihn zum Zeugnis seiner Barmherzigkeit, Güte und Gnade werden ließ. Er ist es auch, der heute sein Werk in dir tut! Sein Wort sagt: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr. Vielmehr, wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

 

1.Sam.24,1-20; 26,1-15; 16,14-18; 20,35-42; 23,15-18; 25,3.10.38-42; 22,2; 2.Sam.1,11-12.17-26; Röm.12,19-21

 
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