1. - 2. März

„Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst’. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.“ Lukas 10,25-28

 

Unter allen Geboten, die uns gegeben wurden, ist dies zweifellos das wichtigste und größte. Es lautet: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben!“ Gott lieben, von ganzem Herzen, ungeteilt, heiß und innig, mit all deiner Kraft, zu jeder Zeit, egal wo du bist und was immer du gerade tust. Doch damit endet das Gebot nicht, denn es heißt weiter: „... und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Ein Schriftgelehrter, der sich rechtfertigen wollte, fragte Jesus: „Wer ist mein Nächster?“ Er suchte nach einer Entschuldigung, weil er das wichtigste Gebot zwar kannte, es aber nicht befolgte. Auch jetzt nicht, als er vor Jesus stand, denn die Schrift sagt, dass er ihn „versuchen“ wollte.

 

Wer ist mein Nächster? Ist es mein engster Vertrauter oder der Mensch, der gerade vor mir steht, in dessen Augen ich blicke?

Jesus beantwortete diese Frage mit folgendem Gleichnis: „Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber, die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen.“

Ein Mensch ging hinab! Jesus erinnert uns daran, dass es in unserem Leben nicht immer bergauf geht. Zwar sind wir in der Lage, den Gipfel des Mount Everest zu erklimmen, doch danach beginnt der Abstieg. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir feststellen, dass unser Weg bergab führt – beruflich, kräftemäßig und auch gesundheitlich. Diese Erfahrung ist kein Geheimnis, auch wenn wir sie oft nicht wahrhaben wollen. Damit nicht genug, lauern auf unserem Weg viele Gefahren, denn wir sind, den Worten Jesu zufolge, von „Räubern“ umgeben. Nicht nur, weil wir überall, wo wir hinkommen, auf „Geschäftsleute“ treffen, denen nicht unser Wohlergehen am Herzen liegt, sondern unser Geldbeutel. Weit schmerzlicher aber sind die Schläge, die wir einander im Zusammenleben zufügen. Nicht selten stammen die tiefen Wunden, die uns auch noch Jahre später schmerzen, von Menschen, die uns einst teuer und lieb waren. Verlust erleiden wir aber auch durch eigenes Versagen und Fehlentscheidungen, die wir im Laufe unseres Lebens treffen.

Daher gibt es unzählige Menschen, die verwundet am Wegesrand liegen, weil sie „Räubern“ in die Hände fielen. Doch wer hilft den Geschundenen? Wer nimmt sich der Zerschlagenen an? Wer kann die Wunden heilen, die dir und mir zugefügt wurden?

Jesus fuhr fort und sagte: „Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit; als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.“

Man denkt, dass der Priester genau der Richtige ist, um dem Gequälten zu helfen. Schließlich war er ein Diener Gottes und dazu berufen, andere zu trösten und zu ermutigen. Gewiss würde er die passenden Worte finden und den Bedauernswerten wieder aufzurichten. Doch der Mann Gottes hatte keine Zeit! Er war mit sich selbst beschäftigt. Er wollte sich in diesem Augenblick nicht mit den Problemen anderer belasten. Gleiches traf auch auf den Leviten zu, einen sozial engagierten Menschen. Auch ihm war die Not des Mannes, der ihm leise röchelnd seine blutige Hand entgegenstreckte, egal. Er konnte sich schließlich nicht um jeden kümmern. In diesem Moment hatte er Wichtigeres zu tun.

Wenn wir die beiden Männer beobachten, wie sie die Not des Elenden zwar erkannten, dann aber mit  verschämtem Blick eilends um die nächste Wegbiegung verschwanden, wird uns klar, dass sie sich in keiner besseren Verfassung befanden, als der, der kraftlos am Wegesrand lag. Auch sie waren unter die „Räuber“ gefallen: Ihnen wurde die Befähigung zu herzlicher Liebe geraubt. Gestohlen wurde ihnen Mitgefühl und Barmherzigkeit. Deshalb mussten sie dem Notleidenden ihre Zuwendung und ihren Trost versagen.

 

„Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.“

Kann man mit schöneren Worten beschreiben, was Jesus für uns getan hat? Obwohl wir ihn, wie damals die Juden die Samariter, keines Blickes würdigten und, wie die Schrift sagt, „für nichts geachtet haben“, nahm er unseren Weg, kam er genau dahin, wo wir lagen. Er sah uns, die Ausgeraubten, die Betrogenen und Zerschlagenen. Er erkannte unsere Wunden.

 

Während Jesus vor uns steht, ist sein Herz voll Erbarmen! Er spürt unseren Schmerz und ist von tiefem Mitgefühl ergriffen. Er erhebt keine Vorwürfe. Er stellt keine Forderungen. Aus seinem Mund kommen nur Worte des Trostes und der Liebe. Er gießt Öl und Wein in unsere Wunden – er gibt uns seinen Geist und schenkt uns sein eigenes Leben. Wie wohltuend ist seine heilende Hand! Dann hebt er uns empor! Er erhebt uns bis in die Himmel, ja, er bringt uns zum Thron Gottes, dem Thron seiner Gnade, wo wir Gnade und Barmherzigkeit empfangen.

Schließlich bringt er uns in seine Herberge, in die Gemeinschaft seiner Heiligen und Erlösten, wo er sich liebevoll um uns kümmert und sich unseres Schadens annimmt. Hier pflegt und umsorgt er uns. Und er wird damit nicht aufhören, bis er wiederkommt und uns zu sich nimmt. Auch dafür hat er den Preis schon bezahlt.

 

Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, wurde uns der Nächster! Niemand ist uns so nahe, wie er! Und weil er uns so innig liebt, lieben wir ihn auch. Mit seiner Liebe gewann er unser Herz! Weil er uns angenommen und vergeben hat, können wir uns auch annehmen. Wir müssen uns nicht länger mit Vorwürfen quälen. Und weil wir Geliebte Gottes, des Vaters, sind und täglich im Genuss seiner Liebe stehen, können wir auch unsere Mitmenschen lieben, auch die, an denen wir sonst vorübergegangen wären. In ihnen können wir nun sogar unseren Nächsten erkennen.

Christus aber wird uns alles erstatten, was wir in seinem Namen getan haben – sogar ein Glas Wasser wird er uns vergelten, das wir einem Durstigen dargereicht haben.

 

Herr Jesus, du wurdest mir der Nächste! Ich danke dir dafür! Heile alle meine Wunden! Bewahre mich heute vor „Räubern“, die mir auflauern. Lass mich dein Herz berühren, damit ich deine Liebe erfahren kann. Pflege mich und lass mich innerlich gesunden. Salbe dein Mitempfinden in mein Herz hinein, damit ich an meinem Nächsten nicht vorübergehe, ihm die Barmherzigkeit nicht verwehre, die du mir erwiesen hast.

 

Jes.53,8+3-5; Hebr.2,9; 4,16; Eph.5,29-30; Mt.10,42

 
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