27. - 28. Juni

„Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi“ 1.Petr.1,13

 

Als Jesus in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth aufstand und das Buch Jesaja öffnete, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Er las: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“

Jeder Israelit wusste, dass das Gnadenjahr ein ganz besonderes Jahr war. Es wurde nur alle fünfzig Jahre ausgerufen und war ein Jahr der Freude und des Jubels. Wer zuvor in Not geraten war und sein väterliches Erbteil verkauft hatte, um seine Familie zu ernähren, erhielt seinen Besitz zurück. Auch der, der sich als Leibeigener in den Dienst eines anderen gestellt hatte und vielleicht jahrelang von seiner Familie getrennt leben musste, war wieder ein freier Mann, wenn das „gnädige Jahr“ gekommen war. Alles, was zuvor verloren gegangen war, wurde wiedererstattet, alle Schulden waren getilgt. Kann man sich den Jubel allerorts vorstellen, wenn die Posaunen erschallten und eine landesweite Freilassung ausgerufen wurde? Der Herr hatte geboten: „Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt eine Freilassung ausrufen im Land für alle, die darin wohnen; es soll ein Erlassjahr für euch sein. Da soll ein jeder bei euch wieder zu seiner Habe und zu seiner Sippe kommen ... Da sollst du die Posaune blasen lassen durch euer ganzes Land.“

 

Nachdem Jesus die Weissagung Jesajas zitiert hatte, sagte er: „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ Mit ihm hatte das Gnadenjahr Gottes angefangen! Und auch wir können es erleben!

 

Das Gnadenjahr des Herrn geht mit einer Befreiung einher. Gefangene dürfen ihre Fesseln abwerfen. Wir werden befreit von der Macht der Sünde. Die Finsternis hat keine Gewalt mehr über uns. Wir können unsere eigenen Begrenzungen überwinden, weil uns Christus seine Dimensionen erfahren lässt. Blinde, die nur sich selbst in ihrem Elend sahen, erblicken nun ihren Erretter. Zerschlagene Herzen, Menschen, die zutiefst enttäuscht und mutlos waren, werden geheilt durch die Liebe Gottes. Arme, die alles verloren hatten und nichts besaßen, werden nun reich gemacht. Wir waren Beraubte, Mittellose, Menschen ohne Erbteil. Nun sind wir Miterben Christi.

Welch unfassbare Gnade! Und das alles, weil der Gesalbte Gottes zu uns kam! So wird das Gnadenjahr Gottes für uns zu einem Jubeljahr, weil es uns überfließende Freude bringt, eine Freude, die niemand von uns nehmen kann.

 

Wenn ein Mensch zur Zeit des Alten Testaments vor Gott Gnade fand, dann ruhte Gottes Wohlgefallen auf ihm; dann wurde ihm Gottes Gunst zuteil. Die Gnade aber, in der wir heute stehen, kam erst mit Jesus Christus. Deshalb sagt die Schrift: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“

Johannes bezeugte, dass er und seine Mitgenossen, als sie die Herrlichkeit Jesu sahen, „Gnade und Wahrheit“ erblickten. Die Gnade, von der er sprach, war also untrennbar mit der Person Jesu verbunden. Deshalb wird sie auch „die Gnade unseres Herrn Jesus Christus“ genannt.

Wie wunderbar aber, dass die sichtbar gewordene Gnade für uns Menschen erfahrbar wurde. Davon sprach Johannes ebenfalls, denn er sagte: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“ Gnade, wie sie uns Gott heute darreicht, ist also immer das, was von Jesus Christus ausgeht und wir aus seiner Fülle empfangen!

Während das Gesetz nur gegeben wurde – durch die Hand Moses –, ist die Gnade, in deren Genuss wir heute stehen, geworden. Sie konnte uns nicht an einem Tag übergeben werden – sie bedurfte einer Entwicklung, bis wir sie empfangen konnten: Jesus musste zuvor am Kreuz sterben, wieder auferstehen, auffahren und zum Geist des Lebens werden. Erst dann konnten wir die „Fülle der Gnade“ und die „Gabe der Gerechtigkeit“ empfangen.

 

Um das Gnadenjahr Gottes beständig erfahren zu können, müssen wir unentwegt aus der Fülle Christi nehmen – Gnade um Gnade. Nur so können wir die Asche verlassen, in der wir sitzen und uns mit dem Glanz und der Schönheit Jesu schmücken. Nur so können wir unsere Trauerkleider ausziehen und das Freudenöl Gottes über unserem Haupt ausgießen. Nur so wird ein betrübter Geist in den Lobgesang der Erlösten einstimmen.

Was heißt es, aus der Fülle Jesu Christi zu nehmen? Wenn die Schrift sagt, dass in ihm „verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ und wir „an dieser Fülle teilhaben in ihm“, dann sind wir aufgerufen, Weisheit und Erkenntnis zu empfangen, wenn wir sie benötigen. Gleiches gilt für den Frieden Christi und seine Liebe! Ob es uns Weisheit mangelt oder an Gerechtigkeit, ob wir Liebe brauchen, Friede oder Freude, ob es uns an Sanftmut, Geduld oder Demut fehlt, immer ist in Christus die Fülle dessen vorhanden, was wir gerade brauchen! Sobald wir das erkennen und aus seiner Fülle nehmen, empfangen wir Gnade!

Dass die Schrift in diesem Zusammenhang von „Asche“ spricht, macht deutlich, dass alles, was wir aus uns selbst schöpfen, früher oder später verbrennt. Unsere Weisheit hat ein Ende und auch unsere Gerechtigkeit, ebenso unser Friede und unsere Freude. Zu Asche wird auch unsere Sanftmut, unsere Geduld und Demut. Nur in Christus wohnt die Fülle! Er erschöpft sich nie!

 

Heute kommen wir nicht zu einem Thron, der uns innerlich erzittern lässt. Wir stehen auch nicht vor dem Thron, an dem Menschen gerichtet werden. Nein! Der Thron, zu dem wir kommen, ist der Thron der Gnade! Deshalb sagt Gottes Wort: „Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“

Am Thron der Gnade empfangen wir Barmherzigkeit und Gnade. Hier wird uns sogar Hilfe zuteil, die wir erst morgen benötigen! Zu diesem Thron kommen wir nicht mit Furcht und Zittern. Wir kommen mit Freimut, weil Jesus Christus unser Sühnopfer, unser Fürsprecher, unser Hoherpriester und unser Mittler geworden ist.

 

Wenn Paulus den Galatern schrieb: „Ihr habt Christus verloren … ihr seid aus der Gnade gefallen“, dann bedeutete dies, dass die Gläubigen in Galatien, indem sie durch eigenes Bemühen gerecht werden wollten, Christus verpasst hatten. Sie waren aus der Gnade gefallen, weil sie ihre Ohren Lehren zugewandt hatten, die das froh machende Evangelium verfälschten. Davor warnt uns auch der Schreiber des Hebräerbriefs, denn er sagt: „Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“

Lehren, die Jesus Christus nicht in den Mittelpunkt stellen, ihn nicht groß machen, unsere Liebe zu ihm nicht mehren, bringen uns nicht in den Genuss der Gnade. Sie reißen uns von ihr weg! Unser Herz wird nur durch Gnade gestärkt und gefestigt. Deshalb sagt Gottes Wort: „Der Gott aller Gnaden aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Weile leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“

 

Nachdem uns Gott „berufen hat in die Gnade Christi“, sollen wir darin mit festem Herzen bleiben. Wir sollen sogar in der Gnade wachsen und mit Paulus sagen können: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen.“

Sobald wir Gottes Gnade verpassen, übernimmt unsere alte gefallene Natur die Herrschaft. Deshalb ermahnt uns der Schreiber des Hebräerbriefs: „Seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume, dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichtet und viele durch sie unrein werden.“

Um Gottes Gnade empfangen zu können, brauchen wir ein demütiges Herz, denn die Schrift sagt: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ Gnade erfahren wir also immer dann, wenn wir uns unserer Bedürftigkeit bewusst sind und nicht auf uns selbst hoffen! Dann fließt uns aus der Gnade Christi die Kraft zu, die uns in unserer Schwachheit stark macht. Als Paulus den Herrn bat, er möge ihn von den Faustschlägen Satans befreien, erhielt er die Antwort: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Welch befreiende Wahrheit: Der, der in uns lebt, ist der festen Überzeugung, dass seine Gnade, wenn wir sie empfangen, ausreichend ist, um alle Faustschläge des Bösen ertragen zu können. Man könnte sogar sagen: Je mehr der Feind versucht, uns zu schwächen, umso machtvoller wird sich die Gnade Christi an uns erweisen.

 

„Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich.“

 

Lk.4,16-21; 3.Mose 25,10.9; Jh.16,22; Röm.8,17; 1.Mose 6,8; 18,3; Jh.1,14.16-17; 2.Kor.13,13; 1.Kor.15,45b; Jh.20,22; Röm.5,17; Jes.61,3; Offb.5,9-10; Ps.118,15; Kol.2,3.9-10; Jes.6,1-5; Mt.19,28; Offb.20,11; Hebr.4,14-16; 7,15+25; 9,12+15; Gal.5,4; 1,6-7; Hebr.13,9; 1.Petr.5,10; Apg.13,43; 1.Kor.15,10; Hebr.12,15; Jak.4,6; 2.Kor.12,9; Ps.89,2

 
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