9. - 10. November

„Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein!“ Lukas 15,32

 

Niemals, auch nicht in seinen kühnsten Träumen, hatte er mit diesem Empfang gerechnet. Sein Vater sah ihn schon von Weitem und war ihm entgegengelaufen. Gejubelt hatte er, ihn liebevoll umarmt und geküsst. Freudentränen waren geflossen. War sein Vater etwa jeden Tag vor die Haustür getreten, um nach ihm Ausschau zu halten? Alles sprach dafür!

Noch deutlich erinnerte er sich an den tiefen Schmerz in den Augen seines Vaters, als er sein Erbteil einforderte und sich bald darauf verabschiedete. Das aber, was er in der Ferne zu finden hoffte, fand er dort nicht. Am Ende hatte er sein Vermögen leichtfertig verschleudert und stand mit leeren Händen da. In dem Moment aber, in dem er alles verloren hatte, gewann er etwas überaus Kostbares – Klarheit, Einsicht und Reue. Er besann sich! Er machte sich nichts mehr vor. Er wollte seine Lage nicht länger beschönigen. Er sagte sich: Die Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, während ich hier verhungere.

Jetzt endlich erkannte er, was er zuvor besessen und wie wenig er es geschätzt hatte. Schließlich fasste er einen Entschluss. Er wollte heimkehren und sagen: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!“

Nun glaubte er, zu träumen! Sein Vater verachtete ihn nicht und stieß ihn nicht von sich. Kein Tadel, kein Vorwurf war zu spüren. Im Gegenteil! Schon bei seiner Ankunft wurde ihm nur das Allerbeste zuteil: die herzlichste Begrüßung, die edelsten Kleider, Schuhe für seine Füße und ein kostbarer Ring für seine Hand. Dann wurde das beste Kalb geschlachtet. Musikanten spielten auf. Man hörte lauten Jubel und sah nur lachende Gesichter. Und das alles ihm zu Ehren! Unfassbar und doch Wirklichkeit!

Wie wertlos hatte er sich zuvor gefühlt. Wie leer war er innerlich gewesen, als er sich schweren Schrittes auf den Heimweg gemacht hatte. Und wie sehr hatte ihn die Last seiner Schuld, die auf seinem Herzen lag, niedergedrückt. Doch nun erfuhr er herzliche Aufnahme, dazu Vergebung und Versöhnung. Mehr noch: Er hatte das Herz seines Vaters berührt, dessen Barmherzigkeit und Liebe erfahren. Alles, was er in seinen Augen zu sein glaubte, hatte der Vater mit wenigen Worten weggewischt und zunichtegemacht. Nichts von dem, was er erwartete, war Wirklichkeit geworden. Nur das Gute, womit er nicht gerechnet hatte, war ihm zuteilgeworden.

 

Gottes Wort fordert uns auf, uns zu erinnern, wo wir waren und wer wir waren, bevor wir zu Christus kamen. Wir lebten fern von Gott, waren Ausgeschlossene, ohne Hoffnung, bösen Mächten und Gewalten hilflos ausgeliefert – ohne das wahre Leben, Christus, zu kennen.

Deshalb ist die Geschichte des verlorenen Sohnes auch unsere Geschichte! So, wie er bei seiner Heimkehr die grenzenlose Liebe und Barmherzigkeit seines Vaters kennenlernte, so sollen auch wir sie erfahren – nicht nur hin und wieder, sondern an jedem neuen Tag. Gottes Festmahl, das er uns in Christus bereitet hat und zu dem er uns täglich einlädt, kennt keinen grauen Alltag! In seinen liebenden Armen kann deshalb jeder Tag für uns zu einem Festtag werden! Und sobald wir uns von ihm entfernt haben, wartet er nur darauf, dass wir uns ihm wieder zuwenden. Dann eilt er uns entgegen, um uns in seine Arme zu schließen. Unser himmlischer Vater will, dass unser Jubel und Gesang nie verklingt. Wir sollen in seiner Liebe bleiben, täglich sein Erbarmen und seine Vergebung erfahren und ohne Unterlass genießen, was er uns in seinem Sohn bereitet hat – nur das Allerbeste.

Deshalb fordert uns der Apostel Paulus auf: „Wie ihr nun angenommen habt, den Herrn Christus Jesus, so lebt (wandelt) auch in ihm ... und seid reichlich dankbar“.

 

So gesehen dürfte es den zweiten Sohn, wie ihn Jesus in seinem Gleichnis beschrieben hat, überhaupt nicht geben! Und doch können wir uns nur allzu oft in ihm wiedererkennen!

 

Er kam vom Feld. Er hatte schwer gearbeitet. Plötzlich hörte er Klänge, die ihm nicht vertraut waren – Musik, Jubel, Gesang. Fröhliche Ausgelassenheit schlug ihm entgegen. Wieso wurde im Vaterhaus an einem ganz gewöhnlichen Arbeitstag ein Fest gefeiert? Nachdem er sich bei einem Bediensten erkundigt und den Grund dafür erfahren hatte, wurde er nicht nur ärgerlich, er wurde zornig. Was? Dieser davongelaufene Kerl war zurückgekehrt? Der, der sein Erbteil mit zweifelhaften Frauen durchgebracht hatte?

Er wollte nicht ins Haus gehen und schon gar nicht mit feiern. In seinen Augen hatte er keinen Bruder mehr.

Sein Vater musste zu ihm hinausgehen und ihn hereinbitten. Doch ihm schlug nur Bitterkeit entgegen. „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre“ .

 

„Siehe!“

Der ältere Sohn konnte nicht „Vater“ sagen. Jetzt zeigte es sich, wo er wirklich stand und was in ihm vorging. Er hatte keine Beziehung zu seinem Vater. Er wusste nicht einmal, was den Vater bewegte, ahnte nicht, was dieser innerlich fühlte und wonach er sich sehnte. Er verstand seinen Vater nicht! Eigentlich war ihm sein Vater fremd geblieben, obwohl er Tag für Tag in seiner Nähe gelebt und das Vaterhaus nie verlassen hatte. Erst jetzt, nachdem sein Bruder nach Hause gekommen war, wurde offenbar, wie weit er vom Herzen seines Vaters entfernt war, wie wenig er ihn kannte. Er stand nun genau so draußen, wie zuvor sein Bruder. Und erneut musste der Vater hinausgehen, um einen Sohn hereinzubitten.

 

Solange wir für uns selbst bleiben, mögen wir annehmen, dass wir unserem himmlischen Vater treu ergeben sind und seine Gebote erfüllen. Doch erst unsere Beziehung zu unserem Bruder offenbart, wie es in unserem Herzen wirklich aussieht. Deshalb sagt die Schrift: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner“.

 

„So viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten!“

Dem älteren Sohn stand die Mühsal seiner jahrelangen Arbeit vor Augen. Er war immer gehorsam gewesen, hatte alle Anweisungen des Vaters erfüllt. Wieso wurde jetzt der belohnt, der nichts davon vorzuweisen hatte?

 

Bevor wir unserem himmlischen Vater dienen wollen, müssen wir ihm erlauben, dass er uns dient. Deshalb wird er nicht den bevorzugen, der hart an sich gearbeitet hat. Nein! An seinem Tisch sitzen nur Teilhaber seiner Gnade, Menschen, die im Glauben gekommen sind, um das zu empfangen, was er uns in Christus bereitet hat. Wer sich eigener Leistung rühmt und auf deren Anerkennung hofft, wird hier bitter enttäuscht werden.

Andere mögen unseren Eifer, unsere Ernsthaftigkeit und Opferbereitschaft bewundern. Doch wenn das, was wir tun, nicht aus Liebe zu Christus geschieht, bleibt es vor Gott ohne Wert. Dann, so sagt Paulus, ist auch unsere Hingabe wertlos, ebenso unser Wissen und alles, was wir erkannt haben. Ja, ohne die brennende Liebe zu Jesus, unserem Herrn, bleiben wir selbst mit den schönsten Reden nur eine klingende Schelle, die in der Ewigkeit ungehört verhallt. Und sogar von einem Glauben, der Berge versetzen kann, bleibt dann nichts übrig.

 

„Und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.“

Durch das, was der ältere Sohn seinem Vater entgegenschleuderte, wurde nun auch deutlich, wovon er schon so lange geträumt hatte: Er wollte mit seinen Freunden ein Fest feiern! Er wollte fröhlich sein! Seltsam! Der Vater hatte das Erbteil doch zwischen seinen beiden Söhnen aufgeteilt. Demnach besaß der ältere Sohn alles, wonach er sich sehnte. Was also sollte seine Freude trüben können? Warum hatte er nicht in Anspruch genommen, was ihm gehörte? Er war der Besitzer einer ganzen Herde – und träumte nun von einem einzigen Bock? Diese Tatsache beweist, dass der ältere Sohn nicht im Genuss seines Erbteils stand. Er besaß alles, benutzte es aber nicht! Gleichzeitig besaß er nichts, weil ihm das Wichtigste fehlte, das kostbarste Gut – die Liebe, Liebe für seinen Vater und Liebe für seinen Bruder.

 

Welchen Sohn verkörperst du ihm Vaterhaus? Bist du einer, der heimgekehrt ist, ein Empfangender, ein Teilhaber, einer, der am Tisch des Vaters sitzt und genießt, was er uns in Christus darreicht? Bist du einer, der feiert, jubelt und singt? Oder gleichst du dem Sohn, der freudlos und missmutig vor der Tür steht und andere kritisiert?

Solange wir innerlich unerfüllt sind und unzufrieden murren, ist alles, was wir tun, mühsam und beschwerlich. Mehr noch: Dann sind wir unfähig, unserem Bruder in Liebe zu begegnen.

 

Was antwortete der Vater seinem Sohn, als der ihn beschuldigte, ungerecht gehandelt zu haben? Er sagte: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“

 

„Mein Sohn!“

Das größte Geschenk, das Gott uns gemacht hat, ist die Sohnschaft. Bereits vor Grundlegung der Welt war dies sein Wunsch: Gott wollte viele Söhne haben, um vielen seine Vaterliebe erweisen zu können. Er wollte, dass viele sein ewiges, unzerstörbares Leben besitzen. Deshalb sandte er den Geist seines Sohnes in unsere Herzen hinein, damit auch wir rufen können: „Abba, lieber Vater!“ Gott, unser Vater, wollte uns die gleiche Gemeinschaft und dieselbe Liebe zuteilwerden lassen, die er mit seinem Sohn, Jesus Christus, seit ewigen Zeiten genießt. Wir sollten keine Knechte sein, keine Tagelöhner, sondern seine geliebten Söhne.

 

„Du bist allezeit bei mir!“

Wir sind nicht nur Söhne unseres himmlischen Vaters. Weil Christus in uns wohnt und wir in Christus sind, dürfen wir uns auch allezeit der Gegenwart unseres Vaters rühmen, denn wer den Sohn hat, der hat auch den Vater. Deshalb ist er uns keine Sekunde fern. Immer ist er da, um uns seine Liebe zu schenken und mit dem geistlichen Segen zu dienen, den wir gerade brauchen.

Wie sehr erfreute sich Jesus der Gegenwart und Liebe seines Vaters, während er unter uns Menschen lebte. Sogar mitten auf dem Friedhof, vor dem Grab des Lazarus, umgeben von Zweiflern, ließ er sich nicht von der bedrückenden Atmosphäre und Herrschaft des Todes beeinflussen, sondern sagte: „Vater, ich danke dir ... Ich weiß, dass du mich allezeit hörst“. Auch an anderer Stelle, als er hart attackiert wurde, bekannte Jesus: „Der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein“. Der Sohn konnte sogar sagen: „Ich und der Vater sind eins“.

Wie wunderbar, dass auch wir wissen dürfen, dass wir nie alleingelassen sind. Mehr noch: Wir, die Geliebten des Vaters, seine Erlösten, wir sind mit Christus eins gemacht worden, sodass wir seine tröstende und stärkende Gegenwart zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Situation erfahren können. Und das war es, das Jesus seinen Jüngern verhieß, bevor er von ihnen genommen wurde. Er sagte: „Ich will euch nicht als Waise zurücklassen; ich komme zu euch ... Ihr sollt mich sehen ... Ihr in mir und ich in euch ... Vater, ich will, dass wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen“ Erfreue dich der Gegenwart Jesu – allezeit, egal, wo du bist, bei allem, was du tust. Lebe nicht getrennt von ihm, und vergiss nie deine Berufung: Du wurdest hineinberufen in die Gemeinschaft Jesu Christi, deines Herrn.

 

„Alles, was mein ist, das ist dein!“

Als Söhne unseres himmlischen Vaters können wir nicht nur seine beständige Gegenwart genießen, er hat uns auch zu seinen Erben gemacht. Auch Jesus war sich stets der Tatsache bewusst, dass er der Erbe seines Vaters war, denn er bekannte: „Alles, was der Vater hat, das ist mein“ und „Was dein ist, das ist mein“. Die Fülle aber, die in ihm wohnt, wurde uns zum Erbteil gegeben. Deshalb müssen wir nicht auf bessere Zeiten warten, nicht von einem „fetten Bock“ träumen oder auf einen fernen Himmel hoffen, in dem alles schöner sein wird. Nein! Heute ist der Tag, an dem wir sagen können: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen“.

 

Was tat der Vater, um seinen älteren Sohn zurechtzubringen? Er ging zu ihm hinaus, nicht, um ihn zu kritisieren, sondern, um ihm mit der Wahrheit zu dienen. Er erinnerte ihn daran, wer er war und was er empfangen hatte. Und so sollen auch wir einander dienen!

Frage nach deinem Bruder! Achte darauf, dass er nicht draußen vor der Tür steht. Wende ihm dein Herz zu! Diene ihm mit der Wahrheit!

Das Festmahl im Hause Gottes wird vollkommen sein, wenn unser Bruder mit uns feiert, wenn er sich mit uns freut und wir die Liebe unseres himmlischen Vaters gemeinsam preisen.

 

Lk.15,17; Eph.2,1-2.11-12; Kol.2,6; 1.Jh.4,20; 1.Kor.13,1-3; Mt.22,36-39; Eph.1,4-5; Gal.4,4-7; 1.Jh.1,3; Jh.14,9-11; 11,41-42; 8,29; 10,30; ; 14,18-20; 17,24; 1.Kor.1,9; Gal.4,7 + Röm.8,17; Jh.16,15; 17,10; Kol.2,9-10; Jh.1,16

 
Feedback | Sitemap | Impressum