Mitternacht war schon vorüber. Ich stand Wache und drehte meine Runden. Das Bataillon, dem ich angehörte, hatte die Aufgabe, eine Bodenstreckenrakete der Amerikaner zu bewachen. Sie war mit einem Atomsprengkopf versehen und stand zum Abschuss bereit. Auf zwei Stunden Wache folgten zwei Stunden Schlaf, bis der Morgen graute. Am nächsten Tag durften wir uns ausruhen, dann ging es erneut hinaus. So kam es, dass ich um 2 Uhr in der Nacht den Stacheldraht umrundete, das Dröhnen der Motoren in den Ohren, die für die Treibstoffversorgung der Rakete zuständig waren. In einer Hand hielt ich die Waffe, in der anderen eine kleine Taschenbibel. Im Licht eines grellen Scheinwerfers suchte ich einen ganz bestimmten Psalm.

 

Den kannte ich nämlich auswendig. Nachdem ich konfirmiert worden war, hatte ich mich regelmäßig mit meinen Freunden im evangelischen Jugendkreis zum Tischtennis getroffen. Auch der Herr Pfarrer war anwesend und spielte mit einigen jungen Leute "Mensch ärgere dich nicht". Bevor wir dann auseinander gingen, standen wir im Kreis zusammen und zitierten gemeinsam die Worte des Psalmisten: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar."

 

Damals waren es für mich nur wohlklingende Worte gewesen, nun aber, nachdem der Herr tatsächlich mein Hirte geworden war, mich auf seine grüne Aue geführt und meine Seele erquickt hatte, erschien mir jeder Satz voller Licht und Wahrheit. Jetzt wusste ich, wovon David sprach!

 

Während ich also meine Runden drehte, fing ich beim letzten Psalm an und blätterte Seite für Seite um. Und wie sehr freute ich mich, als ich "meinen" Psalm gefunden hatte: "Der Herr ist mein Hirte!" Auch ich würde gewiss keinen Mangel haben, solange ich mich von ihm führen ließ.

 

Vom Wachdienst zurückgekehrt, begann das ersehnte Wochenende. Es war Freitag abends, als Pinki und ich die Kaserne verließen. Dienstags hatte uns Siegmar zum "Offenen Abend" eingeladen. Er sollte heute stattfinden und um 20 Uhr beginnen. Doch nun war es bereits eine halbe Stunde später. Außerdem regnete es in Strömen. Auch kannten wir von dem Treffpunkt nur die Hausnummer, eine Zahl, die mit sechzig begann. Als wir die betreffende Straße erreicht hatten, wurde uns klar, dass wir zum Ort der Versammlung eine weitere halbe Stunde benötigen würden. Doch diese Tatsachen allein wären keine unüberwindlichen Hindernisse gewesen, hätten wir nicht an dem Tanzlokal vorbeigehen müssen, aus dem uns der lebendige Gott vor drei Tagen herausgerettet hatte. Vor dem Eingang der Bar blieb mein Begleiter stehen und sagte: "Es ist schon zu spät. Außerdem regnet es in Strömen. Da der Weg  auch noch weit ist und wir das Haus nicht genau kennen, schlage ich vor, dass wir den Abend hier verbringen." Ich versuchte, ihn umzustimmen, doch ohne Erfolg. So kehrte er an diesem Abend in jenen trüben Teich zurück, aus dem uns Christus erst drei Tage zuvor herausgefischt hatte. Hier trennten sich unsere Wege. Als ich ihn Monate später besuchte, stellte ich betrübt fest, dass er im Glauben keinen Schritt vorangekommen war.

 

Ich aber erreichte an jenem Abend mein Ziel und durfte in der Gemeinschaft der Gläubigen erfahren, wie mein Glaube gestärkt und gefestigt wurde. Mehr noch, Siegmar forderte mich sogar auf: "Bitte erzähle uns doch, was du in dieser Woche erlebt hast." So konnte ich berichten, wie ich Jesus bisher erfahren hatte. Am nächsten Abend fand ein missionarischer Einsatz statt, zu dem ich mitgehen durfte. Ich muss gestehen, dass ich weiche Knie hatte, als ich die Diskothek betrat. Noch vor wenigen Tagen saß ich hier und hatte als störend empfunden, was ich nun selbst tat. Jetzt trug ich selbst eine Bibel unter dem Arm. Zunächst war ich bei Siegmar geblieben, um von ihm zu lernen. Doch schon nach kurzer Zeit schaltete ich mich in das Gespräch mit ein und ging danach sogar allein weiter, um denen, die hier saßen, von meinem Erlebnis mit Jesus, dem Auferstandenen, zu erzählen. Ich spürte, dass der Herr mir ganz nahe war, weshalb mich auch abfällige oder spöttische Bemerkungen nicht irritieren konnten. Am Sonntag schließlich fragte mich Albrecht, der Bruder, in dessen Wohnung ich Jesus aufgenommen hatte, ob ich bereit sei, vor der ganzen Versammlung ein Zeugnis abzulegen. Ich tat es mit zitternden Knien aber auch mit großer Freude!

 

Ich habe Albrecht und Siegmar viel zu verdanken. Sie waren es, die mich die ersten Schritte des Glaubens lehrten. Sie haben mir viel Liebe erwiesen. Besonders an den Wochenenden verbrachte ich viele Stunden in ihrem Haus. Ich war ihr Gast und genoss ihre Zuwendung und Herzlichkeit. Wir saßen zusammen, um zu singen und zu beten. Ich konnte Fragen stellen und erhielt Antworten, die mir halfen, Jesus und sein vollbrachtes Erlösungswerk in einer tieferen Weise zu erkennen. Hier durfte ich ein Stück gemeinschaftliches Leben erfahren, wie ich es zuvor nicht gekannt habe.

 

Ein weitreichender Entschluss

 
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