Die schweißtreibende Arbeit auf dem Feld hatte Esau erschöpft. Außerdem war er hungrig – sehr hungrig sogar. Der Geruch, der ihm in die Nase stieg, als er das Haus betrat, war überwältigend. Sein Bruder Jakob stand in der Küche und rührte in einem Topf, in dem ein Linsengericht köchelte. Als Esau ihn bat, ihm etwas davon zu geben, schlug ihm Jakob einen Handel vor: „Verkaufe mir heute deine Erstgeburt!“ Ohne lange überlegen zu müssen, antwortete Esau: „Siehe, ich muss doch sterben; was soll mir die Erstgeburt?“ Die Bibel berichtet weiter: „Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon. So verachtete Esau seine Erstgeburt.“
Was Esau an diesem Tag so verächtlich weggeworfen hatte, begehrte er einige Jahre später sehnlichst wiederzuhaben. Doch da war es zu später! Auch die bitteren Tränen, die er vergoss und seine flehendliche Bitte: „Hast du denn nur einen Segen, mein Vater? Segne mich auch, mein Vater!“, brachten nicht zurück, was er so leichtfertig aus der Hand gegeben hatte. Sein Erstgeburtsrecht war unwiederbringlich verloren! Kurzsichtig, wie er war, hatte er nur an sein irdisches Ende gedacht, nicht aber an die vielen Tage, Wochen, Monate und Jahre, die dazwischen liegen würden. In ihnen würde er nun „ohne Fettigkeit der Erde und ohne Tau des Himmels von oben“ leben müssen. Doch nicht nur das: Jakob war zu seinem Herrn geworden und er, mit all seinen Nachkommen, war nun dessen Knecht. Unzählige Kämpfe und das Ringen um Freiheit vom Joch seines Bruders würden damit verbunden sein (1.Mose 25,29-34; 27,37-40).
Dass diese Geschichte auch für uns eine ernsthafte Warnung beinhaltet, beweist der Schreiber des Hebräerbriefes, denn er sagt: „Seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume, dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden; dass nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte. Ihr wisst, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte“ (Hebr.12,15-17).
Wir werden nur das sorgsam pflegen und bewahren, was uns wertvoll erscheint. Deshalb ist es wichtig, dass wir wissen, was das Erstgeburtsrecht beinhaltet! Nur dann werden wir es nicht für ein „Linsengericht“ eintauschen!
Auch Ruben, der erstgeborene Sohn Jakobs, hatte sein Erstgeburtsrecht verloren – wegen seiner ungezügelten sexuellen Lust und Begierde. Daran erinnerte ihn sein Vater, als er sagte: „Ruben, mein erster Sohn bist du, meine Kraft und der Erstling meiner Stärke, der Oberste der Würde und der Oberste der Macht. Weil du aufwalltest wie Wasser, sollst du nicht der Oberste sein“ (1.Mose 49,3-4).
Später, zur Zeit Moses, wurde jede Erstgeburt, ob Mensch oder Tier, Gott geweiht, denn der Herr befahl: „Die Erstgeburten sind mein. An dem Tag, da ich alle Erstgeburt schlug in Ägyptenland, da heiligte ich mir alle Erstgeburt in Israel, vom Menschen an bis auf das Vieh, dass sie mir gehören sollen. Ich bin der Herr“ (4.Mose 3,13; 8,17). Auch die Erstlinge des Feldes sollten dem Herrn dargebracht werden (2.Mose 23,19).
Besonders zu beachten aber ist, dass das Recht des Erstgeborenen einen doppelten Anteil am Erbe des Vaters einschließt. Von allem, was der Vater besaß, sollten seinem erstgeborenen Sohn „zwei Teile“ gegeben werden (5.Mose 21,17). Damit verbunden war zugleich auch die Verpflichtung, für das Wohl der Familie zu sorgen und etwaigen Schulden des Vaters zu tilgen.
Im neuen Bund ging dieses Recht – das Recht der Erstgeborenen – auf uns über, denn wir, die Erlösten Jesu Christi, die Heiligen und Geliebten, gehören zur „Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind“ (Hebr.12,23).
Demnach sind wir, du und ich, die Erstlinge der Macht und Stärke Jesu, die er durch seine Auferstehung hervorgebracht hat. Er, „der Erstgeborene vor aller Schöpfung und Erstgeborene aus den Toten“ (Kol.1,15+18) ist auch der „Erstgeborenen unter vielen Brüdern“, dem wir gleichgestaltet werden (Röm.8,29-30). Unser Erstgeburtsrecht schließt auch ein, dass wir teuer erkauft wurden und nicht mehr uns selbst gehören (1.Kor.6,18). Wir wurden Christus geweiht und gehören ihm – für Zeit und Ewigkeit!
Es trifft zu, dass wir durch den Tod Jesu mit Gott versöhnt und vor ihm gerechtfertigt wurden. Das Ziel unserer Errettung aber ist erst dann erreicht, wenn er uns „heilig und untadelig und makellos vor sein Angesicht stellt“. Dafür müssen wir „im Glauben bleiben, gegründet und fest, und nicht weichen von der Hoffnung des Evangeliums“ (Kol.1,21-23). „Erkauft aus den Menschen“ werden wir so „Erstlinge für Gott und das Lamm“ sein (Offb.14,4).
Auch uns wurde doppelter Anteil verheißen. Zum einen haben wir heute schon „den Geist als Erstlingsgabe“ empfangen (Röm.8,23). Das bedeutet, dass wir, weil wir in Christus hineinversetzt wurden, in dem „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“, an seinem Reichtum und seiner Fülle teilhaben können (Kol.2,9-10). Denn was sonst sollte der „Tau des Himmels sein“, mit dem uns Gott gesegnet hat und täglich segnen will, wenn nicht die „Fettigkeit“ der Lebensfülle Jesu Christi?
Dann aber, wenn unser Herr in den Wolken erscheinen wird, um alle Reiche der Welt einzunehmen und zu seinem Reich zu machen (Offb.11,15), erwartet uns ein weiterer Segen. Dann nämlich, wenn sich unser Herr in Herrlichkeit und Kraft offenbaren wird, werden auch wir mit ihm offenbar werden (Kol.3,4). Wir sind dazu berufen, an der Herrschaft Jesu Christi Anteil zu haben! Wenn er, der Erstgeborene, „wieder eingeführt wird in die Welt“, werden ihn nicht nur „alle Engel Gottes anbeten“ (Hebr.1,6). Jedes Knie wird sich dann vor ihm beugen, „die, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind“. Alle Zungen werden dann bekennen, dass „Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil.2,9-11). Wir aber, seine Miterben, werden mit ihm auf seinem Thron sitzen und mit ihm über Nationen herrschen (Röm.8,17; Offb.3,21; 2,26-28). Wir werden die Welt und sogar die Engel richten! Daran hatte Paulus die Gläubigen in Korinth erinnert (1.Kor.6,2-3). Ebenso müssen auch wir immer wieder daran erinnert werden, dass uns „doppelter Anteil“ verheißen wurde.
Was aber nützt uns das Recht des Erstgeborenen, wenn wir es nicht wertschätzen? Was hilft es uns, wenn wir die Fülle, zu der wir in Jesus Christus gebracht wurden, nicht in Anspruch nehmen? Was haben wir gewonnen, wenn wir heute nicht mit Christus „im Leben herrschen“, über das, was uns versklaven und von ihm wegführen will? (Röm.5,17; 6,11-22).
Esau hatte nur seine kurzlebige Erdenzeit vor Augen. Eine Speise, die für wenige Stunden seinen Bauch füllte, war ihm sogar wichtiger als das Privileg, das Gott ihm, dem Erstgeborenen, zugesprochen hatte: Würde, Ehre, Autorität, Macht, Repräsentant und Oberster der Familie zu sein. Das alles bedeutete ihm nichts! Gottes Segen, doppelter Anteil am Erbteil des Vaters? Der Geruch eines Linsengerichts, das vor ihm stand und seine Nase kitzelte, versprach ihm größeren Nutzen! Indem Esau das verwarf, was ihm Gott angeboten hatte, wurde er zum „Abtrünnigen und Gottlosen“! So aber soll es nicht bei uns sein!
Deshalb müssen wir zu Herzen nehmen, was uns der Schreiber des Hebräerbriefs zuruft: Lege täglich ab, was dich beschwert! Blicke auf Jesus, den Anfänger und Vollender deines Glaubens! Gedenke an ihn, der soviel Widerspruch erduldete, damit du in deinem Glaubenskampf nicht matt und mutlos wirst. Erachte die liebevolle Erziehung deines himmlischen Vaters als kostbar und wertvoll. Verwirf nicht, was zu deinem Besten dient! Er will, dass du an seiner Heiligkeit Anteil hast und eine köstliche Frucht genießt: Frieden und Gerechtigkeit! Stärke deine müden Füße und die wankenden Knie, damit du nicht wie ein Lahmer umherirrst und strauchelst. Jage dem Frieden nach gegenüber jedermann und der Heiligung, denn ohne sie wirst du den Herrn nicht sehen können! Achte darauf, dass du (und die mit dir sind) Gottes Gnade nicht verpasst, denn sonst kann schnell eine bittere Wurzel aufwachsen, die Unfrieden anrichtet und viele verunreinigt. Zuletzt sollst du wissen, dass Gott alles erschüttern wird, was erschüttert werden kann. Er tut es, weil das, was geschaffen wurde, verwandelt werden muss. Du aber solltest deinem Gott und Vater in Ehrfurcht dienen und ihm täglich dafür danken, dass du ein Reich empfangen wirst, das nicht zu erschüttern ist (Hebr.12,1-29).